Auch die literarische Tradition sollte zu Wort kommen – es gab Lesungen bekannter Autoren: Die ehemaligen Schüler des Wittelsbacher-Gymnasiums Anton G. Leitner, Martin Finsterlin, Ulrich Chaussy und Franz Maria Sonner erwiesen ihrer alten Schule die Referenz.

Anton G. Leitner und Gitarrist Martin Finsterlin

Vom Pausenbrot der Mutter, das im Rucksack friert, spricht Anton G. Leitner in einem der Gedichte, die er Ende September 2007 in der Bibliothek des Wittelsbacher-Gymnasiums, begleitet vom Gitarristen Martin Finsterlin, vorträgt. Dieses vielleicht früheste Gedicht Leitners stammt noch aus seiner Schulzeit am WG, an dem er Ende der siebziger Jahre von seinem Vater „zur Besserung“ angemeldet wurde. Der Sprecher atmet sich am Frühnebel des Herbsttages gewissermaßen satt, so dass das Brot unverzehrt bleibt, Sinnbild für die sättigende Kraft der Poesie, die für den Lyriker, Herausgeber und Rezensenten Leitner, damals wie heute, wohl sogar der eigentliche Quell des Lebens ist.

Finsterlin, Musiker und Produzent, und Leitner lernten einander in der Oberstufe auf dem WG kennen. Als Finsterlin die Schule verließ, um sich seiner musikalischen Laufbahn zu widmen, verlor man sich aus den Augen und traf viele Jahre später wieder aufeinander, um nun zusammenzuarbeiten. Autorenlesungen sind freilich in allen Genres üblich, die Lyrik verlangt jedoch aufgrund ihrer klanglichen Eigenarten ganz besonders nach einem Vortrag vor Publikum. Der Lyriker und der Gitarrist haben deshalb gemeinsam ein Programm zusammengestellt, das, speziell auf Schüler zugeschnitten, mit einer feinfühligen Auswahl von berühmten, signifikanten, jedoch auch kaum bekannten Gedichten vom achtzehnten Jahrhundert bis in die Gegenwart einen wunderbaren Überblick über poetische Versuche und Errungenschaften aus zweihundert Jahren bietet. Ergänzt werden die Texte durch sorgsam ausgesuchte und an passenden Stellen eingefügte eigene Gedichte Leitners aus über fünfundzwanzig Jahren lyrischen Schaffens. Die fein gestreuten musikalischen Einwürfe oder Übergänge Finsterlins lockern den Gedichtvortrag nicht nur auf, machen ihn nicht nur spektakulärer, sondern erweitern die Wahrnehmung des Zuhörers gleichsam, so dass die gehörten Worte auf den vibrierenden Gitarrensaiten rückwirkend neue Nuancen der Bedeutung zu entwickeln scheinen: eine gegenseitige Einflussnahme im künstlerischen Ausdruck, die Entstehung des Gitarrenklangs aus dem Wort und umgekehrt.

Der Dichter und der Musiker werden dem Ursprung der Lyrik als einer musikalischen Disziplin in ihrem Vortrag ebenso gerecht wie dem oft als nicht umsetzbar bezeichneten Anspruch, Gedichte an junge Leute herantragen zu wollen. Ihr wortgewaltiger und klangvoller Auftritt verhilft der Lyrik auch unter den Schülern des WG zu ihrem Recht, gelesen und vor allem gehört zu werden.

Franz Maria Sonner und Ulrich Chaussy

Die beiden ehemaligen Wittelsbacher-Schüler Ulrich Chaussy, Hörfunk-Journalist (BR, WDR, Radio Bremen) und Sachbuchautor, und Franz Maria Sonner, Schriftsteller und Herausgeber, begaben sich im November 2007 mit ihrem Publikum in der Bibliothek auf eine Zeitreise in die 60er und 70er Jahre des vergangenen Jahrhunderts. Chaussy las aus seinem 2002 erschienenen Buch „Die drei Leben des Rudi Dutschke“, in dem er, u.a. auch auf der Grundlage persönlicher Gespräche mit Dutschke, auf das Wirken des berühmten Studentenführers von dessen Schulzeit an bis zu seinem Tod zurückblickt.

Einem heitereren Sujet widmet sich Franz Maria Sonners pointierte Aufarbeitung seiner Schulzeit am Wittelsbacher-Gymnasium, in der turbulenten Zeit um ´68: „Als die Beatles Rudi Dutschke erschossen“. Ausgestattet mit einem erstaunlichen Detailgedächtnis, das wiederum zeigt, wie prägend Schule und Lehrer doch sind, beschwört er den Unterricht seines alten, pedantisch dozierenden und ewig feindseligen Griechischlehrers noch einmal herauf und bemitleidet den netten, engagierten Deutschlehrer, dem von der mimischen Darstellung bis zum Einsatz von Tonträgern jedes Mittel recht ist, um seine Schüler für die Lyrik zu begeistern. Bei aller, teils durchaus makaberen Ironie setzt sich in den Zuhörern doch der Eindruck von einem versöhnten, sich lächelnd erinnernden ehemaligen Rebellen durch.

Eine Auswahl aus den „Fundstücke(n) aus den siebziger Jahren“, einer in Buchform unter dem Titel „Werktätiger sucht üppige Partnerin“ erschienenen Sammlung von Kontaktanzeigen und sonstigen Zeitungsinseraten einer idealistisch verklärten Epoche, trägt Sonner zum Abschluss vor. Die aufgrund der derben und naiven Unverblümtheit ihrer Äußerung aus heutiger Sicht kurios anmutenden Bedürfnisse und Wünsche, die hier geäußert werden, sorgen für eine schön abrundende Heiterkeit im Publikum am Ende einer gut gelungenen und gut besuchten Lesung.

Allen vier auftretenden Künstlern ist – so zumindest die Wahrnehmung des Verfassers – neben ihrer Tätigkeit als Kulturschaffenden vor allem eins gemeinsam: Das unangepasst Freidenkerische ihres Wesens. Ein kritisches Bewusstsein auszubilden muss als oberstes Bildungsziel genannt werden, auch wenn der Weg dorthin in der Schule mit vielen notwendigen Regeln und Zwängen verbunden ist – ein scheinbarer Widerspruch, der sich jedoch, das wurde an beiden Abenden deutlich, im Laufe der Zeit auflöst.